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Zelenka und Bach
– zwei „vortreffliche Kirchenkomponisten“ in Dresden und Leipzig


Dass die beiden sich persönlich begegnet sind, lässt sich nicht beweisen, ist aber sehr wahrscheinlich. Jan Dismas Zelenka (1679–1745) und Johann Sebastian Bach (1685–1750) waren Zeitgenossen, und ihre hauptsächlichen Wirkungsorte Dresden und Leipzig lagen – obwohl konfessionell getrennt – doch nahe genug beieinander. Erst vor einigen Jahren wurde zudem bekannt, dass Bach die „Missa sapientiae“ von Antonio Lotti aus dem Notenbestand Zelenkas abgeschrieben hat. Und noch im 19. Jahrhundert spricht der Musikschriftsteller Friedrich Rochlitz von beiden in einem Atemzug. In seinen an die „Freunde der Tonkunst“ gerichteten Bemerkungen über Zelenka heißt es: „Anlangend seine Werke, so zeugen sie von einem Tiefsinn, von einer Kenntnis gelehrter Harmonie und einer Geübtheit in deren Handhabung, die ihm seinen Stuhl nahe an den Vater Sebastians rücken.“ Doch kann selbst das Urteil dieses Kenners nicht darüber hinwegtäuschen, dass die beiden schon in ihrer Lebens- und mehr noch in der Wirkungsgeschichte sehr gegensätzliche Platzierungen erfahren und wohl auch erlitten haben.
Bach wirkte ab 1723 als Leipziger Musikdirektor und Thomaskantor in einem der wichtigen musikalischen Ämter, das Europa damals zu bieten hatte. Zahlreiche nebenberufliche Tätigkeiten, etwa als Tastenkomponist und –virtuose sowie als Orgelinspektor, ergänzten die hauptberufliche Absicherung; hinzu kam die ehrenvolle Ernennung zum Dresdner Hofkomponisten, wenngleich sie kompositorisch wohl folgenlos blieb. Der in Böhmen geborene Zelenka kam nach seiner Ausbildung an einem Prager Jesuitenkolleg bereits 1710 als Kontrabassist an den Dresdner Hof, wo er – unterbrochen von Studienreisen nach Wien und nach Italien – bis zu seinem Tod blieb. Seine Stellung mitsamt Besoldung verbesserte sich mehrfach, nämlich zum Hofkomponisten und „Kirchen-Compositeur“. Alle Hoffnungen auf den Kapellmeistertitel aber blieben vergeblich, weil immer mehr die Oper dominierte und Johann Adolph Hasse ihm vorgezogen wurde.
In den Jahren um 1740 sind beide Komponisten mit überraschend ähnlichen Projekten befasst, die zwar noch in der Kirchenmusik verankert waren, deren funktional-gottesdienstliche Bestimmung jedoch zugleich hinter sich lassen. Zelenka hegt den Plan zu sechs Messvertonungen, die er in seinem Werkverzeichnis „Missae ultimae“ (Letzte Messen) nennt, wenngleich er vermutlich nur drei davon komponiert hat. Bach wiederum entscheidet sich bei der Sichtung seiner fünf Kyrie-Gloria-Messen dafür, nur eine von ihnen – nämlich die besonders opulente und wie das Magnificat im Vokalsatz fünfstimmige in h-Moll, die er 1733 dem katholischen Dresdner Hof dediziert hatte – zur vollständigen Ordinariumskomposition im Sinne einer „Missa tota et concertata“ zu komplettieren.
Auch Zelenkas späte Messen zählen in ihrem opulent-konzertanten Zuschnitt zum barocken Typus der Kantatenmesse mit klarer, nach Nummern gegliederter Satzdisposition. Die „Missa Dei filii“ blieb unvollendet und umfasst nur Kyrie und Gloria. Wie ein Portal wirkt die einleitend-homophone Kyrie-Anrufung über dem Fundament markant-majestätischer Begleitmotivik in den Bässen. Das Christe eleison gibt Zelenka Gelegenheit, den Werktitel „Missa Dei filii“ musikalisch zu konkretisieren. Fast schon empfindsam und rhythmisch sehr differenziert entfaltet sich das komponierte Gebet der solistischen Sopranstimme. Der typisch instrumentale Gestus, den Zelenka den Vokalisten zumutet – ähnlich wie Bach, der dafür bekanntlich heftig gescholten wurde – ist dann im Gloria zu hören. Durch die Wiederholung von Textpassagen erreicht er eine fast szenische Zuspitzung. Besonders effektvoll ist dann Zelenkas abermaliger Rückgriff auf das „Laudamus te …“ am Ende des Gloria – nach einem ebenso ausdrucksstarken wie hochdifferenzierten, wiederum an Christus gerichteten „Qui tollis peccata mundi“, flehentlichen chorischen „Miserere nobis“-Bitten und einer für Zelenka typischen, mit Repetitionen beginnenden „Cum sancto spiritu“-Fuge. Manche dieser kompositorischen Entscheidungen könnten durchaus Gesprächsthema zwischen Bach und Zelenka...


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