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Georg Philipp Telemann: Passionsoratorium „Seliges Erwägen“


Die Betrachtung der Pasion in Telemanns Oratorium „Seliges Erwägen“


Kaum eine Passionsmusik war im 18. Jahrhundert so populär wie Telemanns „Seliges Erwägen“. Erstmals erklungen ist das neunteilige Werk in konzertanter Darbietung 1722 in der Kirche des Hamburger Werk- und Zuchthauses. Zahlreiche Drucke des Textheftes, dessen Erwerb wohl als Eintrittskarte galt, zeigen die große Beliebtheit in den folgenden Jahrzehnten, auch noch lange nach Telemanns Tod 1767. Während J. S. Bachs Passionen im „Dornröschenschlaf“ auf ihre späte Wiederentdeckung warteten, wurde Telemanns Passionsoratorium nicht nur mehrmals jährlich in Hamburger Kirchen aufgeführt, sondern regelmäßig auch in etlichen weiteren Städten wie Frankfurt am Main, Augsburg, Braunschweig, Leipzig, Berlin und Lübeck.
Was ist das Besondere dieser Passionsmusik? Die Leidensgeschichte Jesu hat Komponisten aller Epochen inspiriert wie kein zweites biblisch-christliches Thema: einstimmig und mehrstimmig, lateinisch und in Landessprachen, vokal und instrumental, dramatisch und betrachtend, gottesdienstlich und konzertant. Reizvoll ist die thematische Vielfalt der Ereignisse mitsamt der Möglichkeit zu poetischen und komponierten Antworten auf die biblische Botschaft vom Leiden und Sterben Christi. Und ebendiese Spannung – die biblischen Ereignisse von damals drängen nach vorne, wohingegen das gegenwärtig-betrachtende „Erwägen“ nach innen weist – prägt auch die barocke Passionsmusik, die in der Predigt ähnlich tief verwurzelt ist wie in der Oper.
Telemann nennt im Titel seines Werkes beide Dimensionen, die „Historia“ und das „Selige Erwägen“. Allerdings rückt er die Historia in den Hintergrund. Das fällt umso leichter, weil der Komponist das Wissen vom Ablauf des Geschehens bei seinen Hörern ja voraussetzen konnte. Gleich in der ersten Betrachtung „Vom Abendmahle“ können sie bei Jesu Wort „Meine Zeit ist nun vollbracht“ bereits dessen letztes Wort am Kreuz „Es ist vollbracht“ assoziieren. Und die letzte Choralzeile „Wer so stirbt, der stirbt wohl“ beschließt die Passionsmusik mit einem Gedanken an die Ars moriendi (Sterbekunst), der mit dem biblisch inspirierten Stichwort „Wohl denen, …“ genau dem ersten Titelwort „Selig“ entspricht.
Weil die vor allem dem Bericht (narratio) verpflichteten Passionshistorien in den Gottesdiensten der Hamburger Hauptkirchen regelmäßig erklungen sind, konnte in den konzertanten Aufführungen der Nebenkirchen stärker das „Erwägen“ im Sinne der affektvollen Auslegung (explicatio) und persönlichen Anwendung (applicatio) zur Geltung kommen. Beim „Seligen Erwägen“ tritt an die Stelle der vertrauten chronologischen Gliederung eine Folge von neun Betrachtungen, wobei die traditionell-lutherische Duktus in fünf Actus der Passion – sie heißen Hortus (Garten), Pontifices (Hohepriester), Pilatus, Crux (Kreuzigung) und Sepulcrum (Begräbnis) – immer noch durchschimmert. Neue Akzente hingegen ermöglichen die beiden affektvollen Betrachtungen über die „Vermessenheit“ und die „Buße“ des Petrus.
Auch das Libretto des Werkes stammt aus der Feder des Komponisten. So gelingt Telemann gleich im ersten Hamburger Amtsjahr eine Probe nicht nur seiner musikalischen, sondern zugleich seiner poetischen und theologischen Kompetenz. Konstitutiv sind weder die Dramatik der Passionsereignisse noch die Dialoge der handelnden Personen. Im Zentrum stehen vielmehr...


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