Spannungsvolle Einheit
Zur Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach
Mit der Matthäuspassion verhält es sich wie mit der gespannten Saite eines Instruments. Ohne Spannung wird kein Klang erzeugt, bei allzu großer Spannung jedoch reißt die Saite. Bach ist sich der Spannungen bewusst, ja er schürt sie geradezu. Und zugleich strebt er nach der Einheit, so dass man sein Komponieren auch als die „Kunst der Integration“ bezeichnen könnte. Bereits die ersten Aufführungen der „großen Passion“ nach Matthäus in der Leipziger Thomaskirche verbinden den traditionell-liturgischen Ort der nachmittaglichen Karfreitagsvesper mit dem in Leipzig damals noch kaum etablierten, andernorts jedoch bereits aufblühenden Kirchenkonzert: noch Liturgie – mit Gemeindegesang, Gebeten und einer Predigt zwischen den beiden Passionsteilen – und zugleich schon eine Art von geistlichem Konzert, das bald darauf zum zukunftsweisenden Ort musikalischer Verkündigung werden sollte.
Vielleicht kam dem Komponisten damals gelegentlich der Vertrag in den Sinn, den er bei seinem Leipziger Amtsantritt unterschrieben hatte. Bach verpflichtet sich darin, die Kirchenmusik derart einzurichten, „dass sie nicht zulang währen“ und nicht „opernhaftig herauskommen“ dürfe, sondern vielmehr „die Zuhörer vielmehr zur Andacht aufmuntern“ solle. Da könnte man im Blick auf die Matthäuspassion ja durchaus Fragezeichen setzen, was Länge und Opernhaftigkeit betrifft. Aber es ist wohl Bachs Begriff der „Andacht“, der die Integration der Gegensätze leistet: um der affekt- und effektvollen Andacht willen zieht Bach in diesem Werk auch die „opernhaften Register“. Das Entweder-Oder des Vertrags ändert er eigenmächtig in ein integratives Sowohl – als auch. Bereits in ihrer monumentalen Ausdehnung ist die 1727 in der Leipziger Thomaskirche erstmals aufgeführte „große Passion“ nach Matthäus das kirchenmusikalische Hauptwerk Bachs. Bestätigt wird dies zudem durch die vom Komponisten 1736 anlässlich einer weiteren Aufführung angelegte prachtvolle Schönschriftpartitur. Dies ist die einzige erhaltene Partitur einer Vokalmusik, bei der Bach auf der Titelseite ausdrücklich den Verfasser der betrachtenden Texte, nämlich Henrici alias Picander, als seinen Co-Autor nennt. Wort und Ton bilden über drei Stunden hinweg eine spannungsvolle Einheit.
Schließlich trägt auch die die spätere Rezeption einzigartige Züge: War es doch die Matthäuspassion, deren Wiederentdeckung und erstmalige Aufführung nach Bachs Tod im Jahr 1829 unter der Leitung des jungen Felix Mendelssohn Bartholdy die Bach-Renaissance des 19. und 20. Jahrhunderts geradezu spektakulär eingeläutet hat: schon im Vorfeld mit einer Presseoffensive für diese „religiöse Hochfeier“; unter den Hörern dann der König, die Geistesgrößen Hegel und Schleiermacher, Heinrich Heine, Clara Schumann; sogar ein Publikumsandrang ohnegleichen, so dass nach Zeitungsberichten etwa tausend Menschen keine Eintrittskarte mehr erhielten …
Die Textgestalt aus der Feder Picanders vermittelt...
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