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Antonin Dvorak: Requiem


Trauer und Trost in Dvoraks Requiem


Fünf Töne der Streicher leiten dieses Requiem im pianissimo ein. Das klagend-flehendes Anfangsmotiv erlebt sogleich eine erste Verwandlung durch die Erhöhung des zweiten Tons bei der Wiederholung. Vor allen aber prägt diese Tonfolge das gesamte Requiem. Etwa hundert Mal erklingt sie, wie eine Keimzelle, in verschiedensten Verianten und in allen Sätzen: vokal wie instrumental, mit verschiedener rhythmischer Gestalt und in immer neuen Klangfarben. Welche Deutung dem Motiv angemessen ist, lässt sich kaum mit letzter Sicherheit sagen. Vielleicht ist es eine hilflose musikalische Totenklage – wie eine von Trauer umwehte Frage, auf die das Werk tröstliche Antworten mehr sucht als findet. Doch auch eine Verbeugung vor Johann Sebastian Bach lässt sich heraushören, weil dessen Fugenthema zum zweiten Kyrie der H-Moll-Messe ganz ähnlich beginnt. Eine Reminiszenz an das berühmte Mozart-Requiem hören wir dann im „Confutatis“.
Kein eigener Entschluss des Komponisten führte zu diesem Requiem, sondern ein Auftrag von außen. Der Londoner Verleger und Konzertveranstalter Alfred Littleton fragte brieflich bereits im Mai 1889 an, ob Dvorak sich – nach dem großen Erfolg seines „Stabat Mater“ sechs Jahre zuvor – ein weiteres oratorisches Werk für das englische Publikum vorstellen könnte. Bei der Wahl der Gattung lässt er dem Komponisten großen Spielraum, bringt aber sogleich die Gattungen „Messe“ und „Requiem“ als Vorschlag ins Spiel. Zugleich warnt er mit den Worten „only easyer at least for the orchestra“ vor allzu hohen instrumentalen Schwierigkeiten. Nachdem der Präsident des Birmingham Festivals die Anfrage bekräftigt hatte, sagt Dvorak zu. Ein Requiem soll es werden. Die abendfüllende Länge sowie die Besetzung mit „Soli, Chor und Orchester“ bietet die typischen Möglichkeiten großer oratorischer Werke, wie sie im 19. Jahrhundert für die von Chören getragenen Festivals komponiert wurden. Und der Chor hat ebenso vielfältige wie reizvolle Aufgaben in diesem Werk, mit dem Dvorak sich in eine große Gattungstradition gleichsam einreiht.
Etliche Aspekte begegnen uns, die typisch sind für die geistliche Musik gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Da ist zunächst die konzertante Fassung des liturgischen Wortlauts: kein Gottesdienst, sondern ein Konzert mit zwei Teilen. Wer das als „Verweltlichung“ kritisiert, überhört die besonderen verkündigenden Chancen konzertanter Musik. Der Kirchenraum als Ort der Aufführung mag das noch verstärken. Das heute zu hörende Requiem hatte seine Uraufführung aber in einem Theatersaal. Dvorak spricht einmal von der „wahren geistlichen Atmosphäre“, die für solche Musik wichtig sei. Und dabei ist der Ort der Aufführung wohl nicht letztlich entscheidend, sondern ein Faktor unter vielen. Beim Wortlaut folgt Dvorak der liturgischen Totenmesse. Er fügt jedoch zusätzlich den Satz „Pie Jesu“ zwischen Sanctus und Agnus Dei ein, wie es der französischen Tradition etwa in Luigi Cherubinis Requiem-Vertonungen entspricht.
Musikalisch hören wir keinen einheitlichen Stil, sondern eine fast schon kaleidoskopartige Fülle von Möglichkeiten, die vom Wortlaut und vom Personalstil des Komponisten zusammen gehalten werden. Die kirchlich-liturgische Tradition kommt vielfach zur Geltung. Unbegleitete vokale Passagen erinnern wie von fern an gregorianischen Choral und frühe Mehrstimmigkeit („Quid sum miser“), chorisches Psalmodieren a cappella im „Pie Jesu“ lässt an eine Totenvesper im Geist der klassischen Vokalpolyphonie denken. Ein böhmisches Kirchenlied verbindet Dvorak mit dem barock anmutenden Fugensatz...


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