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Musik von Trauer und Trost

Zum „Deutschen Requiem“ von Johannes Brahms

„Ich habe nun meine Trauer niedergelegt
und sie ist mir genommen; ich habe
meine Trauermusik vollendet als
Seligpreisung der Leidtragenden.
Ich habe nun Trost gefunden, wie
ich ihn gesetzt habe als
Zeichen an die Klagenden.“

Johannes Brahms
(Briefentwurf aus dem Jahr 1867)

Das „Deutsche Requiem“ von Johannes Brahms (1833-1897) ist ein ebenso erfolgreiches wie in vielen Aspekten rätselhaftes Werk. Bereits der vom Komponisten stammende Titel wirft Fragen auf. Ein „Requiem“ als protestantischer Gegenentwurf zur katholischen Totenmesse? Wohl kaum, denn das „deutsch“ verweist zunächst nur auf den Wortlaut der vom Komponisten selbst ausgewählten Bibelverse nach Martin Luthers deutscher Übersetzung der Heiligen Schrift. Die im Werk sich zeigende Frömmigkeit des Komponisten jedoch ist kaum lutherisch zu nennen, war vielmehr geprägt von kritisch-säkularisierter Religiosität: bibelfest zwar, doch nicht kirchentreu. Mit dem Wort „Requiem“ leiht Brahms sich gleichsam eine Gattungs-Überschrift aus der Liturgie, die im 19. Jahrhundert große konzertante Triumphe feiern konnte. Brahms steuert zur Gattung des Requiems ein höchst eigenständiges Werk bei, das sich einer Fixierung im Sinne der Tradition letztlich entzieht: kein eigentliches Requiem, aber auch kein Oratorium; eher eine Art paraliturgische Chorsinfonie in sieben Sätzen.

Dieses „Requiem“ – nach langer und verwickelter Entstehungsgeschichte wurde es 1869 ur­auf­ge­führt - ist ein überaus persönliches Werk. Durchlebte Trauer steht im Hintergrund: nach dem Tod Robert Schumanns (1856) und der Mutter des Komponisten (1865). Clara Schumann trifft den „Ton“ des Werkes genau, wenn sie es „ein wahrlich menschliches Requiem“ nennt. War es doch das schonungslos Menschliche, und eben nicht das Christliche, was Brahms an der Bibel so fasziniert hat. Die verhindert nicht, dass traditionelle Momente christlich-liturgischer Trauermusik wie Zitate aufklingen: die Posaune des Jüngsten Gerichts etwa im sechsten Satz oder die wenn auch gebrochenen Traditionen von Totentanz und Trauermarsch im zweiten. Dass die Wirkung des zweiten Satzes bei der Uraufführung durch den orchestralen „Paukenwüterich“ geschmälert wurde, überliefert ein Kritiker. Das Requiem ist überdies ein dramatisches Werk, weil es – ganz im Sinne einer musikalischen Trauerarbeit – den Weg von der Trauer zum Trost geht und somit den Prozess der Trauer quasi inszeniert. Das wiederum relativiert „das Deutsche“, wie Brahms selbst in einem Brief an den Bremer Domorganisten Karl Reinthaler bemerkt: „Was den Text betrifft, will ich bekennen, daß ich recht gern auch das ‚Deutsch’ fortließe und einfach den ‚Menschen’ setzte.“

Vorausgegangen war diesem berühmten Brief eine Kontroverse um die Rechtgläubigkeit von Werk und Komponist. Der bereits genannte Bremer Dirigent und Musikdirektor Carl Reinthaler (1822-1896) – er leitete die dortige Uraufführung 1868, noch ohne Satz V, aber mit G. F. Händels Arie „Ich weiß, dass mein Erlöser lebet“ aus dessen Messias - hatte das Fehlen des Erlösertodes Christi im „Deutschen Requiem“ moniert. Zugleich wollte er Brahms wohl eine „goldene Brücke“ bauen, indem er ihm anhand des letzten Satzes eine verborgene Christlichkeit nahe legte. Das Bibelwort aus der Geheimen Offenbarung „Selig sind die Toten von nun an“ kann doch nur heißen: „von Christus an“. Brahms jedoch entschuldigt sich für das Fehlen des Erlösers Christus keineswegs, sondern bekennt, dass er „auch mit allem Wissen und Willen Stellen wie z. B. Evang. Joh. Kap 3 Vers 16 [Also hat Gott die Welt geliebt,…] entbehrte“. Die Bibel ist für Brahms nicht göttliche Offenbarung, sondern ein Menschheitsdokument, verfasst von „ehrwürdigen Dichtern“, dessen Gestalt es aus künstlerischen, weniger aus religiösen Gründen zu respektieren gilt. Und schließlich kann er den biblischen Dichtern auch eine Formulierung wie „von nun an“ ja nicht mehr „abdisputieren“. Im Übrigen, so schreibt er, habe ich aus dem Fundus der Bibel „manches genommen, weil ich es als Musiker brauchte“. Diese Bemerkung ist nichts anderes als ein Bekenntnis zur Gattungstradition des Oratoriums, in dessen Textgestalt und -gehalt es darauf ankommt, dass die Worte zum einen biblisch inspiriert sind, zum anderen aber musikalisch inspirierend: in Bildern und Affekten, in der Balance von Dramatik und Kontemplation.

An die Stelle normativer oder liturgisch vorgegebener Texte tritt also bei Brahms – und das ist ein neuer Akzent in der geistlichen Musik - die persönliche Auswahl. Bereits die Zusammenstellung des Textes in sieben Sätzen ist…


Bei Interesse am vollständigen Text senden Sie mir bitte eine .

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