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Bach: „Wachet, betet, betet, wachet“ und „Ich hatte viel Bekümmernis“
sowie Händel: „Utrechter Te Deum“


„Suchet der Stadt Bestes“ (Jeremia 29,7)
Werke von Bach und Händel im Jubiläumsjahr


Jubiläen sind Treffpunkte. Immer trifft Vergangenheit auf Gegenwart. Auch treffen geschichtliche Ereignisse aufeinander, wie das diesjährige Stadtjubiläum 817–2017 und das Gedenken an 500 Jahre Reformation. Vor allem aber treffen sich Personen im Schnittpunkt von Erinnerung, Gegenwart und Zukunft. Der dritte Aspekt hierbei, Wege in die Zukunft, ist der spannendste. Ohne Musik jedoch – bei der Chöre sich stadtteilübergreifend und zudem ökumenisch begegnen können – wäre all das nicht halb so schön.
Auch die heute zu hörenden Komponisten Bach und Händel wollten sich persönlich kennen lernen. Es wäre gewiss ein „musikalisches Gipfeltreffen“ zweier im selben Jahr 1685 geborener Musiker geworden! Aber bei jedem ihrer mindestens drei Versuche fehlte die „Gunst der Stunde“. Sie haben sich schlichtweg verpasst. Bei der letzten Initiative Händels, Bach zu sehen, war der Leipziger Thomaskantor schon nicht mehr am Leben.
Dabei hätte sie sich vieles erzählen können, liegen doch ihre Geburtsorte Eisenach und Halle nicht weit voneinander entfernt. Beide sind im Luthertum groß geworden und haben in jungen Jahren den berühmten Organisten Dieterich Buxtehude in Lübeck aufgesucht. Später standen beide eine Zeit lang in höfischen Diensten, bis Bach sich im Jahr 1723 für das Thomaskantorat und das städtische Musikdirektorat der Universitäts- und Messestadt Leipzig entschied, wohingegen Händel seine Fortune vorwiegend als freiberuflicher Opern- und Oratorienkomponist suchte, zunächst in Hamburg, ab 1720 dann endgültig in London.
Auftragskompositionen für politische oder religiöse Anlässe waren den beiden nicht fremd. Zwar gibt es von Bach weder ein Te Deum noch Kantaten zu einem Friedensschluss. Alljährlich im August aber stand er in Leipzig vor der Aufgabe, eine Festmusik in Form einer deutschsprachigen Kirchenkantate für den Gottesdienst anlässlich des Ratswechsels vorzubereiten und aufzuführen. Und zum Jubiläum „200 Jahre Reformation in Leipzig“ steuerte er in Eigeninitiative das große Orgelwerk der „Clavier-Übung III“ bei. Von Händel sind insgesamt fünf Vertonungen des Te Deum überliefert. Vertont ist jeweils die englische Version des sogenannten „Ambrosianischen Lobgesangs“ – auch wenn der in Trier geborene Kirchenvater Ambrosius von Mailand (339–397) nicht der Autor des lateinischen Originals ist.
Das in der Londoner St. Paul’s Cathedral am 7. Juli 1713 erstmals aufgeführte „Utrechter Te Deum“ begründete Händels Stellung als Komponist für offizielle Staatsakte im Auftrag des Königshauses. Händel hatte das Werk bereits vollendet, bevor überhaupt der erwartete Friede nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg zwischen England und Frankreich, aber noch ohne Kaiser und Reich, in Utrecht geschlossen und dann in London proklamiert wurde. Bereits die öffentlichen Proben erregten in London Aufsehen! Eine solche Orientierung am bürgerlichen Publikum kannte Bach nicht, ja er brauchte sie auch nicht. Etwa 30 Jahre lang war Händels Utrechter Te Deum das bevorzugte Werk für den Cäcilientag im November sowie für staatlich-festliche Anlässe. Dann wurde es von Händels Dettinger Te Deum abgelöst.
Bach komponierte ab 1714 monatlich im höfisch-kirchenmusikalischen Dienst als Konzertmeister am Weimarer Hof eine Reihe von Kirchenkantaten, darunter „Ich hatte viel Bekümmernis“ (1714) und „Wachet! betet! betet! wachet!“ (1716). Der Aufführungsort solcher Musik im Kirchenjahr war die „Himmelsburg“ genannte Hofkirche mit typisch lutherischer Architektur: Wie die Töne eines Dreiklangs sind Altar, Kanzel und Orgelempore übereinander angeordnet. Abendmahl, Predigt und Musik bilden so eine dreigliedrige Achse, auf der die Musik dem Himmel am nächsten ist.
„Ich hatte viel Bekümmernis“ hat eine komplexe Entstehungsgeschichte, weil der Komponist sowohl in Köthen als auch in Leipzig daran weiter komponiert hat; auch eine noch frühere Urgestalt als die Weimarer Fassung ist nicht auszuschließen. Vermutlich hat Bach die tröstlich-hoffende Botschaft dieses Werkes am 17. Juni 1714 seinem kaum 18jährigen Weimarer Dienstherrn Prinz Johann Ernst mit auf den Weg gegeben. Der kränkliche Prinz wurde an jenem Tag zu einer Kur im Taunus verabschiedet, von der er jedoch nicht zurückkehrten sollte.
Zudem hat Bach ebendieses Werk im Jahr 1720 bei einer Bewerbung in Hamburg als „Probestück“ aufgeführt. Jene Stelle an der Hauptkirche St. Jacobi blieb ihm dennoch versagt. Überdies musste er einen Tadel aus der spitzen Feder des Musikkritikers und Komponisten Johann Mattheson einstecken. Dieser gab in seiner Zeitschrift „Critica Musica“, also öffentlich und spöttisch, zu Protokoll, dass er die ausgiebigen Textwiederholungen – „Ich, ich, ich, ich hatte viel Bekümmernis, ich hatte viel Bekümmernis, in meinem Herzen, in meinem Herzen …“ – unvernünftig und übertrieben findet. Wie sehr Bach sich darüber geärgert hat, ist nicht direkt überliefert. Man kann es sich denken.
Auf eine instrumentale Sinfonia in der Art eines langsamen Konzertsatzes folgt der...


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